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Urheberrecht : Aufsichtspflichtverletzung (überarbeiteter Beitrag)
03.02.2017 19:54 (7729 x gelesen)

Der Hinweis "Eltern haften für ihre Kinder" findet sich an jeder Baustelle. Mancher Geschädigte wünscht sich, daß es so einfach wäre. Eltern haften nicht für ihre Kinder. Sie haften, wenn sie eine Aufsichtspflichtverletzung begangen haben, also wegen Verletzung ihrer eigenen Pflicht und nicht, weil ein Kind schuldhaft und rechtswidrig gehandelt hätte. Im folgenden sind drei Urteile des BGH dargestellt, jeweils mit Verlinkung zum Volltext. Es geht einmal um illegales Filesharing (Urheberrechtsverletzung, Peer-to-Peer-Netzwerk P2P). Zwei Urteile befassen sich mit Sachbeschädigungen an geparkten Fahrzeugen durch zwei minderjährige Brüder, die unbeaufsichtigt gespielt haben.



Ist Sachschaden von Kindern und Jugendlichen verursacht worden, sind deren Eltern oft mit Schuldzuweisungen und Schadensersatzansprüchen konfrontiert. Dies mag verständlich sein, denn wie kann man z. B. ein dreijähriges Kind "zur Rechenschaft ziehen". Es ist vielleicht selber wegen seines Alters oder seiner Einsichtsfähigkeit gar nicht verantwortlich. Andererseits sind in der Regel die Eltern wirtschaftlich leistungsfähiger. Die Eltern haben aber nichts beschädigt haben. Sie haften sie nur, wenn sie selber eine Pflicht verletzt haben. Das ist hier die sogenannte Aufsichtspflicht gemäß § 832 BGB.

Zerstört ein normal entwickelter 16-Jähriger fahrlässig (§ 276 BGB) mit dem Fußball eine Fensterscheibe im Nachbarhaus, haftet er selber nach § 823 BGB wegen eigenem Verschulden, denn man darf annehmen, daß er gemäß § 828 BGB deliktsfähig ist. Die Eltern haften nur dann auch, wenn sie ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. Sie haften nicht nach § 823 BGB sondern nach § 832 BGB (Verlinkungen s. o.). Ob das Kind selber haftet, hat nichts zu tun mit der Frage, ob die Eltern, ein Elternteil oder andere Aufsichtspflichtige haften und umgekehrt.

Die Aufsichtspflicht kann nur verletzen, wer aufsichtspflichtig ist und zur Zeit des schadensbegründenden Ereignisses die Aufsicht auch tatsächlich führen konnte. Konnte man das nicht (z. B. solange ein Kind in der Schule ist, auf einem Ausflug ohne Eltern oder wenn es draußen unbeaufsichtigt spielt), haftet man nur, wenn man das Kind nicht hätte unbeaufsichtigt lassen dürfen. Das ist - wie immer - eine Frage aller Umstände des konkreten Einzelfalls. Dabei spielt der Entwicklungsstand des Kindes eine wesentliche Rolle.

Ganz entscheidend muß aber auch immer ein erzieherischer Gesichtspunkt sein: Kinder gehören weder in Watte gepackt noch an die Leine. Sie entwickeln sich und lernen. Sie sollen sich in jeweils angemessenem Rahmen entfalten können und Erfahrungen sammeln. Dazu gehört es auch, Fehler zu machen, hinzufallen, sich einmal die Finger zu verbrennen oder schauen, was passiert, wenn es wie Michel aus Lönneberga macht. Daß ein Kleinkind seine Rassel vor Freude schreiend unvermittelt durch den Raum schleudert, wird sich nicht unter allen Umständen verhindern lassen: Ein Kind braucht etwas zum Spielen und anbinden darf man es nicht. Wäre die Haftung Aufsichtspflichtiger nicht so wie sie ist, wäre zu befürchten, daß Kindern noch mehr nötiger Freiraum genommen und andererseits Eltern mitunter Unmögliches abverlangt wird. Manchmal ist dies zum Nachteil einzelner Geschädigter, aber zum Nutzen und im Interesse der Allgemeinheit und letzlich auch mit Rücksicht auf ein Kind geboten.


Die Entscheidungen des BGH:

1. Urheberrechtsverletzung im Internet

Die Entscheidung sei laut Gericht lebensnah, realistisch und vom Erziehungsgedanken herzuleiten gewesen: Die festgestellte IP-Adresse führte zu einem Ehepaar, dessen 13-jähriges Kind wohl per Filesharing-Programmen "Bearshare" bzw. "Morpheus" über 1.000 Musikdateien rechtswidrig heruntergeladen/angeboten haben soll (P2P-Netzwerke sind oft so voreingestellt, daß während eines Downsloads gleichzeitig ein Upload derselben Datei ermöglicht wird). Es wurde Strafanzeige erstattet und im Rahmen einer Durchsuchung der Wohnung auf Anordnung des zuständigen Amtsgerichts der PC beschlagnahmt und untersucht. Ein Sicherheitsprogramm, welches die Installation solcher und weiterer Programme verhindert, war auf dem zur eingeständigen Nutzug überlassen PC nicht installiert.

Die Eltern sind der Aufforderung zur Abgage einer strafbewehrten Unterlassungserklärung nachgekommen, hatten sich aber geweigert, Schadensersatz zu leisten und die Abmahnkosten zu erstatten. Die Klage gegen die Eltern auf Schadensersatz und Erstattung der Abmahnkosten wurde in letzter Instanz vom BGH abgewiesen.

Aus Sicht des BGH genügen Eltern ihrer Aufsichtspflicht, wenn sie ein normal entwickeltes Kind über das Verbot einer rechtswidrigen Teilnahme an Internet-Tauschbörsen belehren. Nur wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Übertretung vorhanden sind, also z. B. im Wiederholungsfall, sind weitere Maßnahmen veranlaßt. Eine grundsätzliche Pflicht, den freien Zugang zum Internet für Kinder zu beschränken, die Internetnutzung zu überwachen oder den Computer des Kindes zu überprüfen, besteht aber nicht (BGH vom 15.11.2012, I ZR 74/12).

Damit ist für die noch vom Berufungsgericht, OLG Köln vom 23.03.2012, 6 U 67/11 in dieser Sache festgestellte Haftung nach § 832 I BGB wegen Verletzung der elterlichen Aufsichtspflicht kein Raum.


 

2. Beschädigte Kraftfahrzeuge: Der jüngere Bruder

In Bezug auf ein 5 Jahre und 4 Monate altes Kind sagt der BGH, daß ein normal entwickeltes und bisher unauffälliges Kind im Alter von fast 5 1/2 Jahren eine gewisse Zeit ohne unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit und Aufsicht gelassen werden kann.

Das Kind hatte gemeinsam mit seinem älteren Bruder 17 Autos zerkratzt.

Kinder in einem Alter von fünf Jahren dürfen ohne ständige Überwachung im Freien, etwa auf einem Spielplatz oder Sportgelände oder in einer verkehrsarmen Straße auf dem Bürgersteig, spielen und müssen dabei nur gelegentlich beobachtet werden. Dabei ist regelmäßig ein Kontrollabstand von höchstens 30 Minuten ausreichend, um das Spiel von bisher unauffälligen fünfjährigen Kindern außerhalb der Wohnung bzw. des elterlichen Hauses zu überwachen.

Link zum Urteil: BGB vom 24.03.2009, VI ZR 51/08


 

3. Beschädigte Kraftfahrzeuge: Der Ältere

Da es eine andere Sachlage ist, wurde in einem anderen Verfahren die Aufsichtspflicht gegenüber dem älteren Burder geprüft. Der Umfang der Aufsichtspflicht gegenüber einem 5-Jähtrigen ist ja nicht immer  derselbe wie gegenüber einem 7-Jährigen. Der BGH nimmt in diesem am selben Tag verkündeten Urteil auf die vorgenannte Entscheidung Bezug und ergänzt zum unbeaufsichtigten Freiraum, der einem fast 5 1/2 Jahre alten Kind gewährt werden kann folgendes: 

Dies gilt erst recht für bereits in größerem Maße in die Selbständigkeit entlassene Kinder im Alter von sieben bis acht Jahren. In diesem Alter ist weder eine Überwachung "auf Schritt und Tritt" noch eine regelmäßige Kontrolle in kurzen, etwa halbstündigen Zeitabständen wie bei kleineren Kindern erforderlich. Grundsätzlich muss Kindern in diesem Alter, wenn sie normal entwickelt sind, das Spielen im Freien auch ohne Aufsicht in einem räumlichen Bereich gestattet sein, der den Eltern ein sofortiges Eingreifen nicht ermöglicht. Zum Spiel der Kinder gehört auch, Neuland zu entdecken und zu "erobern". Dies kann ihnen, wenn damit nicht besondere Gefahren für das Kind oder für andere verbunden sind, nicht allgemein untersagt werden. Vielmehr muss es bei Kindern dieser Altersstufe, die in der Regel den Schulweg allein zurücklegen, im Allgemeinen genügen, dass die Eltern sich über das Tun und Treiben in großen Zügen einen Überblick verschaffen, sofern nicht konkreter Anlass zu besonderer Aufsicht besteht. Andernfalls würde jede vernünftige Entwicklung des Kindes, insbesondere der Lernprozess im Umgang mit Gefahren, gehemmt. (Zitatende)

Aber man sollte nicht überlesen, daß das Kind selber vom Amtsgericht verurteilt wurde, an die Klägerin 678,74 € Schadensersatz zu leisten - wegen eigenem Verschulden, § 823 BGB, da es offenbar aus Sicht des Gerichts gemäß § 828 BGB deliktsfähig war, hier also die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hatte.

Die lesenswerte Entscheidung: BGH vom 24.03.2009, VI ZR 199/08


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