Die Frage, ob Urlaubstage erhalten bleiben, wenn während dieser Urlaubstage häusliche Quarantäne angeordnet war, steht vor ihrer Beantwortung durch den EuGH.
Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden gemäß § 9 BUrlG die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet.
Befindet man sich aber in Quarantäne, ohne selber erkrankt zu sein, ist man nicht arbeitsunfähig. Daher wurden die von der Quarantäne betroffenen Arbeitstage nicht nachgewährt.
Im Rahmen einer Revision vor dem Bundesarbeitsgericht, 9 AZR 76/22 legt das BAG nun dem EuGH folgende Frage zur Entscheidung vor: Sind Art. 7 RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahingehend auszulegen, dass sie einer innerstaatlichen Regelung oder Praxis entgegenstehen, der zufolge ein vom Arbeitnehmer beantragter und vom Arbeitgeber bewilligter bezahlter Jahresurlaub, der sich mit einer nach Urlaubsbewilligung durch die zuständige Behörde wegen Ansteckungsverdachts angeordneten häuslichen Quarantäne zeitlich überschneidet, nicht nachzugewähren ist, wobei beim Arbeitnehmer während der Quarantäne keine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit besteht.
Nach Art 7 RL 2003/88/EG verpflichtet die Mitgliedstaaten, allen ArbeitnehmerInnen einen Anspruch auf bezahlten Mindesturoaub von vier Wochen zu geähren, der außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durhc eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf.
Nach Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union hat jede/r Arbeitnehmer/in das Recht auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub.
Urlaubstage sind Tage, an denen eine Person mit Genehmigung des Dienstherren der Arbeit fernbleibt. Urlaub ist Zeit zur freien Verfügung an Arbeitstagen, deren Beginn und Ende im Voraus unter Mitwirkung der Berechtigten feststehen. Er soll der Erholung/Regeneration dienen. Werden Urlaubsanträge gestellt, ist in der Regel nicht nur die zeitliche Lage wohlüberlegt und gewünscht, sondern erfolgt bereits die Urlaubsplanung. Oft erfolgen für die Urlaubszeit Buchungen für Reisen oder öffentliche Veranstaltungen.
Die Zeit einer durch die zuständige Behörde angeordneten Quarantäne ist damit nicht kompatibel. Die Reise, auf die man sich gefreut hat, kann nicht angetreten werden. Die Zeit ist nicht zur freien Verfügung, denn man darf grds. die eigene Wohnung nicht verlassen. Ob dies einen Erholungswert hat, ist eher zu verneinen. Statt Entspannung hat die coronabedingte Stillegung des öffentlichen Lebens (Lockdown) eine merkliche Zunahme häuslicher Gewalt mit sich gebracht. Selbst wenn die Quarantäne erst am Urlaubsort beginnt, hat eine Reise einen zumindest stark geminderten Erholungswert.
Andererseits führt Quarantäne eben nicht zur Arbeitsunfähigkeit und entspricht einer Arbeitsverhinderung im Sinne von § 616 BGB. Eine Arbeitsverhinderung während des Urlaubs ist ArbeitnehmerInnenrisiko, die zeitgleichen Urblaubstage bleiben unstreitig nicht erhalten. Dagegen ist es bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit umgekehrt, weil Erholung und Regeneration während Krankheit in der Regel ausgeschlossen sind. Die Erholungs- und Regenerationsphase schließt sich vielmehr an das Ende der Arbeitsunfähigkeit an. Dementsprechend bestimmt § 7 Abs. 1 S. 2 BUrlG, daß ein beantragter Urlaub gewährt werden muß, wenn der/die Arbeitnehmer/in dies im Anschluß an eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation verlangt.
Auch wenn häusliche Quarantäne im Urlaub im Zweifel das Gegenteil von Erholung mit sich bringt, bleibt die Zeit zu Hause zur freien Verfügung, was in anderen Fällen von Arbeitsverhinderung (zB notwendige Betreuungen, Tod und Beerdigung nächster Angehöriger, Einberufung zu Einsätzen zB des THW, Ladung als Zeuge, Eheschließung) in der Regel nicht der Fall ist, tatsächlich nicht einmal bei der Eheschließung als Arbeitsverhinderung.
Eine gesetzliche Regelung, wonach die Urlaubstage erhalten bleiben, existiert nicht. Man könnte nur § 9 BUrlG analog anwenden. Nach § 9 BUrlG werden durch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU, ärztliches Zeugnis) nachgewiesenen Krankheitstage während des Urlaubs auf den Urlaubsanspruch nicht angerechnet. Diese (Urlaubs-)Tage bleiben also erhalten und können noch genommen werden. Der Gesetzgeber hat sich angesichts des Erholungszwecks des Urlaubs dafür entschieden, das Risiko einer Erkrankung, das grundsätzlich allein in der Sphäre der Arbeitnehmer/Innen liegt, allein der Arbeitgeberseite aufzubürden. Bei Fällen der Arbeitsverhinderung hat er das aber nicht getan. Hat der Gesetzgeber das bewußt nicht getan, käme eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG nicht in betracht, da dies dann dem gesetzgeberischen Willen widersprechen würde. Auch vorgenannte Richtlinie und die Charta enthalten keine Regelung.
Es wäre nicht überraschend, wenn der EuGH das Risiko der Anordnung einer Quarantäne und seine Folgen für den Urlaubsanspruch der Arbeitnehmerseite zuordnet. Dafür ist derzeit ein Änderungsgesetz zum IfSG in der Diskussion im Bundestag. Der Entwurf vom 17.08.2022 sieht einen neuen § 59 IfSG vor, wonach die entsprechenden Tage des Urlaubs, während derer man einer Absonderung (Quarantäne) unterliegt, auf den Jahresurlaub nicht angerechnet werden. Man könnte auch § 9 BUrlG um die Worte ...und Tage einer Absonderung nach (derzeit noch) § 30 IfSG... einfügen können, dann wäre es da, wohin es gehört.