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Arbeitsrecht : Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – Einheit des Verhinderungsfalls
27.04.2020 16:33 (2366 x gelesen)

Nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls ist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit auf die Dauer von sechs Wochen begrenzt, wenn während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat.

Ein einheitlicher Verhinderungsfall ist regelmäßig hinreichend indiziert, wenn zwischen einer "ersten" krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und einer dem Arbeitnehmer im Wege der "Erstbescheinigung" attestierten weiteren Arbeitsunfähigkeit ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Hiervon ist auszugehen, wenn die bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt.



Mit Urteil des BAG vom 11.12.2019, 5 AZR 505/18 wird die Rechtssprechung des BAG 02.12.1981, 5 AZR 89/80 bestätigt: Überschneiden sich mehrere unterschiedliche Erkrankungen, endet die Entgeltfortzahlungspflicht nach 6 Wochen. Nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles beginnt eine neue Lohnfortzahlungsperiode nur dann, wenn 2 selbstständige Verhinderungsfälle vorliegen, d. h. wenn der Arbeitnehmer zwischen 2 Krankheiten tatsächlich arbeitet oder wenn er zwischen den beiden Krankheiten zwar arbeitsfähig war, tatsächlich aber nicht arbeiten konnte, weil er nur für wenige außerhalb der Arbeitszeit liegende Stunden arbeitsfähig war. Im aktuellen, nachfolgend zitierten Urteil scheiterte die klagende Arbeitnehmerin an der Beweislast. Sie hätte beweisen müssen, daß die Ersterkrankung vor Beginn der Folgeerkrankung auskuriert war, was ihr nicht gelungen ist.

Urteil des BAG vom 11.12.2019, 5 AZR 505/18:

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 26. September 2018 - 7 Sa 336/18 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbetand
Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Zeit vom 19. Mai bis zum 29. Juni 2017. Die 1954 geborene Klägerin war bis einschließlich Juli 2017 bei der Beklagten als Fachkraft in der Altenpflege beschäftigt. Seit August 2017 befindet sie sich im Ruhestand. In der Zeit vom 9. bis zum 25. Januar 2017 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Vom 26. Januar bis zum 6. Februar 2017 befand sie sich im Erholungsurlaub. Seit dem 7. Februar 2017 war sie infolge eines psychischen Leidens erneut arbeitsunfähig. Die Beklagte leistete Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bis einschließlich 20. März 2017. Anschließend bezog die Klägerin auf der Grundlage von Folgebescheinigungen ihrer Hausärzte, die ihr eine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich Donnerstag, dem 18. Mai 2017 attestierten, Krankengeld.
Am Freitag, dem 19. Mai 2017 unterzog sich die Klägerin wegen einer Gebärmuttersenkung einer seit längerem geplanten Operation. Bereits am Vortag, dem 18. Mai 2017, wurde der Klägerin durch ihre niedergelassene Frauenärztin mit einer „Erstbescheinigung“ Arbeitsunfähigkeit vom 19. Mai bis zunächst 16. Juni 2017 und mit einer „Folgebescheinigung“ bis voraussichtlich 30. Juni 2017 attestiert.
Im Juli 2017 erbrachte die Klägerin aufgrund von Urlaub und zum Abbau von Überstunden gewährten Freizeitausgleichs keine Arbeitsleistungen mehr. Im gleichen Zeitraum begann sie eine psychotherapeutische Behandlung bei einem Neurologen. Begleitend wurden ihr - wie bereits seit Beginn ihrer psychischen Erkrankung - Psychopharmaka verordnet.
Für die Zeit vom 19. Mai bis zum 29. Juni 2017 leistete weder die Beklagte Entgeltfortzahlung noch wurde der Klägerin seitens ihrer Krankenkasse Krankengeld bewilligt.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Arbeitsunfähigkeit wegen ihrer psychischen Erkrankung habe am 18. Mai 2017 geendet. Erst die Operation vom 19. Mai 2017 habe erneut zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt. Ab diesem Tag sei deshalb ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer von sechs Wochen entstanden.
Die Klägerin hat, soweit für die Revision von Interesse, beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.364,90 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. September 2017 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und behauptet, die Klägerin sei wegen ihres gynäkologischen Leidens schon vor dem 19. Mai 2017 arbeitsunfähig gewesen. Ungeachtet dessen sei davon auszugehen, dass die fortbestehende psychische Erkrankung der Klägerin über den 18. Mai 2017 hinaus Arbeitsunfähigkeit verursacht habe. Nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls habe ihre Entgeltfortzahlungspflicht daher mit dem Ablauf von sechs Wochen am 20. März 2017 geendet.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage - nach Vernehmung der behandelnden Ärzte Dr. R, S und Dr. H - abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht abgeändert und die Klage abgewiesen. Die zulässige Klage ist unbegründet.

I. Die Klägerin hat für die Zeit vom 19. Mai bis zum 29. Juni 2017 keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus § 3 Abs. 1 EFZG.

1. Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, ist der Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG auf die Dauer von sechs Wochen begrenzt. Dies gilt nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls auch dann, wenn während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. In einem solchen Fall kann der Arbeitnehmer bei entsprechender Dauer der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung die Sechs-Wochen-Frist nur einmal in Anspruch nehmen. Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem die weitere Erkrankung zu einer erneuten Arbeitsverhinderung führt. Das ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich gearbeitet hat oder jedenfalls arbeitsfähig war, sei es auch nur für wenige außerhalb der Arbeitszeit liegende Stunden. Maßgeblich für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und damit für das Ende des Verhinderungsfalls ist grundsätzlich die Entscheidung des Arztes, der Arbeitsunfähigkeit - ungeachtet der individuellen Arbeitszeit des betreffenden Arbeitnehmers - im Zweifel bis zum Ende eines Kalendertags bescheinigen wird. Das gilt unabhängig davon, ob das Ende der Arbeitsunfähigkeit auf einen Arbeits- oder arbeitsfreien Tag fällt (BAG 25. Mai 2016 - 5 AZR 318/15 - Rn. 13 mwN, BAGE 155, 196).

2. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, nach diesen Grundsätzen habe die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ab dem 19. Mai 2017 keinen neuen Entgeltfortzahlungsanspruch begründet, ist rechtsfehlerfrei. Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass die neue Erkrankung erst zu einem Zeitpunkt Arbeitsunfähigkeit ausgelöst hat, zu dem die vorangegangene krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits beendet war.

a) Die Beklagte hat sich im Streitfall auf den Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls berufen und dabei ua. bestritten, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin infolge ihrer psychischen Erkrankung vor Eintritt der Arbeitsverhinderung wegen ihres gynäkologischen Leidens beendet war. Diese Tatsache darzulegen und zu beweisen, war, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, Sache der Klägerin.

aa) Nach allgemeinen Grundsätzen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG (BAG 13. Juli 2005 - 5 AZR 389/04 - zu I 6 der Gründe, BAGE 115, 206). Ebenso wie er für die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit als solcher beweispflichtig ist, trifft ihn auch für deren Beginn und Ende die objektive Beweislast. Meldet sich der Arbeitnehmer in unmittelbarem Anschluss an den ausgeschöpften Sechs-Wochen-Zeitraum des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG erneut mit einer Erstbescheinigung arbeitsunfähig krank und bestreitet der Arbeitgeber unter Berufung auf den Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls, dass Arbeitsunfähigkeit infolge der „neuen“ Krankheit erst jetzt eingetreten sei, hat der Arbeitnehmer als anspruchsbegründende Tatsache darzulegen und im Streitfall zu beweisen, dass die neue Arbeitsunfähigkeit erst zu einem Zeitpunkt eingetreten ist, zu dem die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits beendet war (BAG 25. Mai 2016 - 5 AZR 318/15 - Rn. 19 f., BAGE 155, 196; so auch die hM im Schrifttum, zuletzt bspw. MHdB ArbR/Greiner 4. Aufl. § 80 Rn. 74; Laws FA 2017, 101, 106 f.; MüKoBGB/Müller-Glöge 8. Aufl. EFZG § 3 Rn. 78; Staudinger/Oetker (2019) BGB § 616 Rn. 538; ErfK/Reinhard 20. Aufl. EFZG § 3 Rn. 44; BeckOK ArbR/Ricken 1. Dezember 2019 EFZG § 3 Rn. 63). Der Arbeitnehmer ist mit anderen Worten darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass seine bisherige Erkrankung bei Eintritt der mit neuer Erstbescheinigung attestierten Arbeitsverhinderung keine Arbeitsunfähigkeit mehr ausgelöst hat. Das gilt auch dann, wenn sich an den ausgeschöpften Sechs-Wochen-Zeitraum des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ein Krankengeldbezug angeschlossen hat und der Arbeitnehmer in der Folge vom Arbeitgeber unter Vorlage einer neuen Erstbescheinigung Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wegen einer sich unmittelbar an den Krankengeldbezug anschließenden Arbeitsverhinderung verlangt.

bb) Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast unterscheidet sich insoweit von der bei Fortsetzungserkrankungen. Deren rechtliche Bewertung in § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG ist eine durch Gesetz zugunsten des Arbeitgebers getroffene Ausnahmeregelung von dem allgemeinen Grundsatz der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Zwar muss der Arbeitnehmer, der innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG länger als sechs Wochen arbeitsunfähig ist, darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt und - bestreitet der Arbeitgeber den Eintritt einer neuen, auf einem anderen Grundleiden beruhenden Krankheit - den Arzt von der Schweigepflicht entbinden. Doch hat die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung der Arbeitgeber zu tragen, weil nach der sprachlichen Fassung des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG ihn und nicht den Arbeitnehmer die objektive Beweislast trifft (BAG 10. September 2014 - 10 AZR 651/12 - Rn. 27, BAGE 149, 101; 13. Juli 2005 - 5 AZR 389/04 - zu I 5 und 6 der Gründe, BAGE 115, 206; Schaub ArbR-HdB/Linck 18. Aufl. § 98 Rn. 61; BeckOK ArbR/Ricken 1. Dezember 2019 EFZG § 3 Rn. 73).

cc) Entgegen der Auffassung der Revision steht diesem Verständnis das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 5. November 2003, 5 AZR 562/02 nicht entgegen. Gegenstand dieser Entscheidung sind nicht Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, sondern Ansprüche des Arbeitnehmers aus Annahmeverzug. Tritt der Arbeitgeber einem solchen Anspruch mit der Behauptung entgegen, der vormals arbeitsunfähige Arbeitnehmer sei im maßgeblichen Annahmeverzugszeitraum weiterhin infolge Krankheit an der Arbeitsleistung gehindert, beruft er sich auf ein Unvermögen iSv. § 297 BGB. Nach dieser Bestimmung kommt der Gläubiger nicht in Verzug, wenn der Schuldner zur Zeit des Angebots oder im Fall des § 296 BGB zu der für die Handlung des Gläubigers bestimmten Zeit außerstande ist, die Leistung zu bewirken. Die sprachliche Fassung von § 297 BGB gibt damit vor, dass der Arbeitgeber eine Einwendung erhebt, wenn er gegenüber einem Anspruch aus Annahmeverzug geltend macht, eine vor dem Streitzeitraum bestehende Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers habe nicht vor diesem geendet, sondern fortbestanden. Für die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Einwendung trägt der Arbeitgeber als Gläubiger die Darlegungs- und Beweislast (st. Rspr., jüngst BAG 28. August 2019 - 5 AZN 381/19 - Rn. 7; 22. August 2018 - 5 AZR 592/17 - Rn. 25). Hieraus lassen sich jedoch keine Rückschlüsse auf die Beweislastverteilung bei der Geltendmachung von Entgeltfortzahlungsansprüchen nach § 3 Abs. 1 EFZG ziehen.

b) Für die Darlegung und den Nachweis von Beginn und Ende einer auf einer bestimmten Krankheit beruhenden Arbeitsunfähigkeit kann sich der Arbeitnehmer zunächst auf die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stützen (zu deren Beweiswert sh. BAG 26. Februar 2003 - 5 AZR 112/02 - zu I 1 der Gründe, BAGE 105, 171; zu den ab 1. Januar 2016 eingeführten Vordrucken vgl. Kleinebrink ArbRB 2016, 47 ff., 93 ff.). Ist jedoch unstreitig oder bringt der Arbeitgeber gewichtige Indizien dafür vor, dass sich die Erkrankungen, hinsichtlich derer dem Arbeitnehmer jeweils Arbeitsunfähigkeit attestiert worden ist, überschneiden, so ist der Beweiswert der dem Arbeitnehmer hinsichtlich der „neuen“ Krankheit ausgestellten „Erstbescheinigung“ erschüttert. Der Arbeitnehmer muss nunmehr für den Zeitpunkt der Beendigung seiner Arbeitsunfähigkeit wegen einer „früheren“ Krankheit vor Eintritt der neuerlichen Arbeitsverhinderung vollen Beweis erbringen. Dafür steht ihm das Zeugnis des behandelnden Arztes als Beweismittel zur Verfügung (vgl. BAG 25. Mai 2016 - 5 AZR 318/15 - Rn. 22, BAGE 155, 196).

aa) Bei der näheren Bestimmung der Anforderungen an die wechselseitige Darlegungslast der Parteien darf nicht übersehen werden, dass der Arbeitgeber in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat und kaum in der Lage ist, belastbare Indiztatsachen für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls vorzutragen (Vossen DB 2017, 1976). Die für den Arbeitgeber bestehende Möglichkeit eines Auskunftsersuchens an die zuständige Krankenkasse nach § 69 Abs. 4 SGB X bezieht sich auf das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung und schließt die Übermittlung von Diagnosedaten ausdrücklich aus. Zudem greift die Bestimmung nur bei Arbeitnehmern ein, die in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert sind. Für privat Versicherte besteht kein entsprechender gesetzlicher Auskunftsanspruch. Unabhängig davon hat der Arbeitgeber keine Möglichkeit, die Mitteilung der Krankenkasse zu überprüfen. In Anbetracht dieser Schwierigkeiten hat das Bundesarbeitsgericht bereits erkannt, dass dem Arbeitgeber, der sich auf eine Fortsetzungserkrankung iSd. § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG beruft, hinsichtlich der ihn insoweit treffenden Darlegungs- und Beweislast Erleichterungen zuzubilligen sind (vgl. dazu BAG 13. Juli 2005 - 5 AZR 389/04 - zu I 6 der Gründe, BAGE 115, 206). Entsprechendes hat in Bezug auf die vom Arbeitgeber im Rahmen von § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG vorzutragenden Indizien für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls zu gelten. Auch dabei ist der Unkenntnis des Arbeitgebers von den Krankeitsursachen angemessen Rechnung zu tragen.

bb) Hiervon ausgehend besteht ein hinreichend gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls regelmäßig dann, wenn sich an eine „erste“ Arbeitsverhinderung in engem zeitlichen Zusammenhang eine dem Arbeitnehmer im Wege der „Erstbescheinigung“ attestierte weitere Arbeitsunfähigkeit dergestalt anschließt, dass die bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder dass zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt. Bei solchen Sachverhalten ist es dem Arbeitgeber angesichts fehlender zwischenzeitlicher Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers nahezu unmöglich, konkrete Anhaltspunkte zur Erschütterung des Beweiswerts der ärztlichen Bescheinigungen vorzutragen (vgl. Vossen DB 2017, 1976; zu weiteren Indiztatsachen LAG Köln 15. November 2016, 12 Sa 453/16). Es ist deshalb dem Arbeitnehmer auch unter Berücksichtigung seiner Sachnähe zuzumuten, seine Behauptung, es lägen voneinander zu trennende Verhinderungsfälle vor, durch konkreten Vortrag zu den Krankheitsursachen sowie zum Ende bzw. Beginn der jeweiligen Arbeitsunfähigkeit zu konkretisieren und hierfür ggf. vollen Beweis zu erbringen.

c) Im Streitfall ist ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen den der Klägerin bescheinigten Arbeitsunfähigkeiten gegeben.

aa) Durch ihre behandelnden Hausärzte wurde der Klägerin - unter Berücksichtigung der zuletzt ausgestellten „Folgebescheinigung“ - Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich zum 18. Mai 2017 bescheinigt. Daran schloss sich die der Klägerin am 18. Mai 2017 durch ihre Gynäkologin ab dem 19. Mai 2017 im Wege einer Erstbescheinigung attestierte Arbeitsunfähigkeit unmittelbar an. Schon ausgehend hiervon ist im Streitfall das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls ausreichend indiziert. Unabhängig davon spricht zudem viel für die Annahme des Landesarbeitsgerichts, in dem unstreitigen Fortbestand der psychischen Erkrankung über den 18. Mai 2017 hinaus und der damit zusammenhängenden Behandlung der Klägerin liege ein ausreichendes Indiz für das Bestehen eines einheitlichen Verhinderungsfalls.

bb) Es oblag somit der Klägerin, vollen Beweis für den Ausschluss eines einheitlichen Verhinderungsfalls zu erbringen. Das ist ihr nicht gelungen. Das Landesarbeitsgericht hat hierzu auf Antrag der Klägerin drei behandelnde Ärzte als sachverständige Zeugen vernommen. Auf der Grundlage des Ergebnisses der Beweisaufnahme ist es rechtsfehlerfrei von einem non liquet ausgegangen.

(1) Das Revisionsgericht kann die vom Berufungsgericht nach § 286 Abs. 1 ZPO vorgenommene Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nur daraufhin überprüfen, ob die Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei und ohne Verletzung von Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt ist, ob sie rechtlich möglich ist und ob das Berufungsgericht alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt hat (st. Rspr., zB BAG 28. Juni 2012 - 6 AZR 682/10 - Rn. 70 mwN, BAGE 142, 225).

(2) Danach ist die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts nicht zu beanstanden. Es hat alle fallrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt und das Ergebnis der Beweisaufnahme widerspruchsfrei gewürdigt. Soweit es den Zeugen Dr. R und die Zeugin S auf Antrag der Klägerin zu deren Behauptung vernommen hat, die Arbeitsunfähigkeit wegen ihrer psychischen Erkrankung habe am 18. Mai 2017 geendet, hat es die Aussagen der Ärzte für nicht ergiebig erachtet. Die Beurteilung wird von der Revision nicht angegriffen und ist nachvollziehbar. Das gilt umso mehr als der Zeuge Dr. R die Klägerin nach eigener Aussage letztmalig am 7. April 2017 persönlich gesehen hatte, und hierbei noch von einer Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich zum 21. April 2017 ausgegangen war. Soweit der Zeuge geäußert hat, die von ihm festgestellte Arbeitsunfähigkeit wegen des psychischen Leidens sei am 18. Mai 2017 „abgeschlossen gewesen“, hat er dies nicht auf eigene Befunde, sondern darauf gestützt, dass die Klägerin nach diesem Termin in der Hausarztpraxis nicht mehr vorstellig geworden sei. Dabei handelt es sich aber um nicht mehr als eine Vermutung des Arztes, die das Landesarbeitsgericht zu Recht nicht von der zu beweisenden Tatsache überzeugen konnte. Die Zeugin S hat bekundet, sie habe die von ihr am 21. April 2017 und 5. Mai 2017 gezeichneten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in Vertretung ihres Kollegen Dr. R und nach dessen Vorgaben ausgestellt, ohne dabei die Klägerin untersucht oder persönlich gesprochen zu haben. Weshalb die Krankschreibung durch „Folgebescheinigungen“ zuletzt bis Donnerstag, den 18. Mai 2017 erfolgte, konnte die Zeugin nicht erläutern.

cc) Hat die Klägerin danach eine Beendigung der Arbeitsunfähigkeit wegen ihrer psychischen Erkrankung vor dem 19. Mai 2017 nicht nachzuweisen vermocht, kam es auf die weitere Streitfrage der Parteien, ob das gynäkologische Leiden der Klägerin nicht erst am Tage ihrer Operation, sondern schon früher, jedenfalls am 18. Mai 2017, zu Arbeitsunfähigkeit geführt hat, nicht mehr entscheidungserheblich an. Es ist deshalb unschädlich, dass sich das Landesarbeitsgericht mit der Aussage der zu dieser Frage vernommenen Zeugin Dr. H nicht näher auseinandergesetzt hat. Allerdings ergibt sich aus dem über die Vernehmung der Zeugin gefertigten Sitzungsprotokoll vom 29. August 2018, dass die Ärztin die Klägerin am 18. Mai 2017 nicht untersucht hat. Auch lässt die Aussage der Ärztin nicht erkennen, dass sie sich am 18. Mai 2017 nach anderweitigen Erkrankungen der Klägerin und einer diesbezüglich ggf. von anderer Seite erfolgten Krankschreibung erkundigt hat. Ob dazu unter den gegebenen Umständen zwingend Anlass bestand, hat der Senat nicht zu bewerten. Der Aussage der Ärztin ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass sie sich am 18. Mai 2017 ein umfassendes Bild von dem seelischen und körperlichen Gesundheitszustand der Klägerin verschafft hat.

3. Da es der Klägerin bereits aus den dargestellten Gründen nicht gelungen ist, das Bestehen eines einheitlichen Verhinderungsfalls auszuschließen, kann im Streitfall offenbleiben, ob sich der einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung allgemein zuerkannte hohe Beweiswert überhaupt auf die Tatsache bezieht, dass die Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers am letzten Tag der Bescheinigung endet, und welche Bedeutung in diesem Zusammenhang der nach § 5 Abs. 4 Satz 3 der Richtlinie über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen der stufenweisen Wiedereingliederung (Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie) idF des Beschlusses vom 20. Oktober 2016 (BAnz AT 23. Dezember 2016 B5) bestehenden Möglichkeit zukommt, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als „Endbescheinigung“ zu kennzeichnen, wenn zum Zeitpunkt ihrer Ausstellung bereits sicher eingeschätzt werden kann, dass die Arbeitsunfähigkeit mit Ablauf des bescheinigten Zeitraums enden wird (vgl. dazu Kleinebrink ArbRB 2016, 47, 48). Auch kommt es nicht darauf an, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, mit denen der Klägerin Arbeitsunfähigkeit bis zum 18. Mai und ab dem 19. Mai 2017 bescheinigt wurde, jeweils ohne ärztliche Untersuchung ausgestellt wurden. Dass eine solche Untersuchung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu erfolgen hat, ist aber einer der Gründe dafür, weshalb nach der Lebenserfahrung der ärztlichen Bescheinigung in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hinsichtlich der Darlegung der Voraussetzungen des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung ein hoher Beweiswert zuerkannt wird (vgl. nur BAG 26. Februar 2003 - 5 AZR 112/02 - zu I 1 der Gründe, BAGE 105, 171 sowie grundlegend BAG 11. August 1976 - 5 AZR 422/75 - zu 3 a der Gründe, BAGE 28, 144). Daher wird auch im Schrifttum bezweifelt, ob einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die unter Nutzung neuer telemedizinischer Möglichkeiten zustande gekommen ist, ein Beweiswert für das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit bei der Geltendmachung des Entgeltfortzahlungsanspruchs zuerkannt werden kann (zur Problematik vgl. nur Jüngst B+P 2019, 163, 165 ff.; Kleinebrink ArbRB 2019, 147). Dies bedarf im Streitfall indes keiner näheren Erörterung und Beantwortung.

4. Nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls konnte die Klägerin somit für die Zeit vom 7. Februar bis zum 30. Juni 2017 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nur einmal für die Dauer von sechs Wochen verlangen. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass die Beklagte diesen Anspruch durch die bis zum 20. März 2017 erbrachten Leistungen erfüllt hat.

5. Mangels Hauptforderung besteht auch kein Anspruch der Klägerin auf Zinsen.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.


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